Donnerstag, Januar 18, 2007

testw-e/a-ise

Juliana wäre gern Fußballerin. Wie ihr Papa, den sie nur von einem Foto kennt, das sie unter ihrem Kopfkissen versteckt. Er sieht so stolz aus in dem Trikot der italienischen Mannschaft und mit dem Fußball unterm Arm. Sie weiß, dass ihr Papa ein Held ist. Doch wenn sie ihre Mutter nach ihm fragt, sieht sie sofort ganz traurig aus und murmelt nur irgendetwas, bevor sie sich schnell anderen Dingen zuwendet. Dass sie ihm noch nie begegnet ist, erklärt sie sich damit, dass er der wichtigste Spieler des Teams ist und deswegen immer da sein muss. Oder er trifft sich mit hohen Politikern zum Tee. Nur wichtige Dinge – da muss man als Tochter auch zurückstecken. Das weiß Juliana und ihr Herz ist voller Liebe zu ihm. Der Papa ist auch schon ganz gewellt, weil Juliana ihm jeden Morgen nach dem Aufwachen und jeden Abend vor dem Einschlafen einen Kuss gibt.
Juliana wäre gern Fußballerin. Doch wenn sie zum Trainingsfeld der kleinen Stadt fährt und den Spielern zuschaut, ist es immer das Gleiche: Erst wird sie gemustert, dann für ungeeignet befunden und ignoriert. Oft machen die anderen auch Witze über sie. Doch witzig sind sie nicht. Nicht für Juliana. Sie fährt wenig später nach Hause, mit starrer Miene, denn Fußballer weinen nicht. Das sagt ihr der Papa immer, wenn sie sein Foto betrachtet. Oft zeichnet sie es mit Bleistift ab und hat schon unzählige Kopien angefertigt. Sogar in der Schule der sehr kleinen Stadt wurde dieses Portrait schon ausgestellt. Sie war stolz in diesem Augenblick, denn zeichnen konnte sie wirklich gut. Doch das hielt nicht lange an. Bald kamen andere Schüler, blieben vor dem Bild stehen und unterhielten sich: „Juliana...“ „Ja, kein Wunder, dass die das so gut kann! Was soll sie denn sonst machen? Fußball spielen?“. Dann lachten sie und gingen zum nächsten Bild.
Juliana wäre gern Fußballerin. Stattdessen verbringt sie den Tag mit Zeichnen und Lesen. Ihre Mutter brachte ihr eines Tages eine illustrierte Biografie von Aimee Mullins mit, wohl, um ihr Mut zu machen. Juliana bemerkte, dass die Bilder zweierlei Gefühl bei ihr auslösten: Stolz auf die Frau und andererseits Ekel.
Juliana wäre gern Fußballerin. Sie wäre der Star der Mannschaft. Schön und überaus talentiert. Es ist klar, dass sie Angreiferin wäre. Die gegnerischen Torwärter hätten Angst vor ihrem kraftvollen Schuss schon bevor sie den Ball berührte. Gleichzeitig könnte sie elegant dribbeln und Tricks vollführen, sodass jeder Spieler sie bewundern und jeder Trainer sie sich in seine Mannschaft wünschen würde. Man würde sie Panther nennen.
Juliana wäre gern Fußballerin. Sie wäre eine wunderschöne Sportlerin. Andere Menschen sagen ihr auch oft, dass sie ein sehr hübsches Mädchen ist. Sie führt das auf das italienische Blut ihres Heldenpapas zurück. Ihre Haut ist dunkler als die der meisten Menschen, die sie kennt, ihr Gesicht wird umrahmt von schwarzem Samthaar, Augenbrauen und Mund setzen schwungvolle Akzente und ihre dunklen Augen sind der glanzvolle Höhepunkt. Manchmal, wenn sie mit ihrer Mutter in einem Café in der winzigen Stadt sitzt, treten sogar fremde Menschen an den Tisch, um ihr zu sagen, wie schön sie sei. Doch dann wandern ihre Blicke nach unten und sie gehen schnell weiter.
Juliana wäre gern Fußballerin.
Doch wie soll man Fußball spielen, wenn man keine Beine hat?

1 Kommentar:

Juansi hat gesagt…

gefällt mir, die Testwaise